Tipps der Woche

Kalenderwoche 4/2022

Farbenblind

Von Trevor Noah

Eigentlich dürfte es Trevor Noah gar nicht geben. Die Mutter, «dunkelhäutig» und eine vom Stamm der Xhosa, der Vater ein Deutsch-Schweizer. In seinem Geburtsjahr, 1984, herrschte noch Apartheid und damit das „Immorality“-Gesetz, das Beziehungen zwischen den Rassen mit mehrjähriger Haft bestrafte. Der Originaltitel „Born A Crime – Als Verbrechen geboren“ bringt das auf den Punkt, denn Trevor ist «hellhäutig»! Er schildert in diesem Buch sehr eindrücklich die Brutalität der Townships und der Post-Apartheid-Jahre in den Neunzigern. Er berichtet auch, wie seine alleinerziehende Mutter darin zu überleben versucht.
Das Buch sehe ich aber auch als eine Hommage an seine Mutter. Die tiefreligiöse Frau zerrt ihren Sohn sonntags in drei Gottesdienste („Letztlich kam ich zu dem Schluss, dass Schwarze mehr Zeit mit Jesus benötigten, weil wir mehr leiden mussten.“), selbst wenn das bedeutet, an brennenden Barrikaden und verkohlten Leichen vorbeigehen zu müssen, die Zulus und Xhosas nach ihren Kämpfen zurücklassen. Man ist hin- und hergerissen zwischen der «Bewunderung» für die Willensstärke der Mutter und der «Verwunderung» über ihrer Rigorosität im Alltag. So rettet sie z.B. sich und Trevor vor dem Übergriff eines Taxifahrers, indem sie sich und ihren Sohn aus einem fahrenden Auto wirft. Sie prügelt und beschimpft Trevor, was zu seiner Abhärtung dienen soll. Sie erklärt ihm: „Ich muss dir das antun, bevor es dir die Polizei antut.“ Sie spart Benzin für den klapprigen VW-Käfer, indem Trevor im Stau das Auto bei abgeschaltetem Motor schieben muss. Dieser, die hellhäutige Kuriosität, soll sich mit der Erbarmungslosigkeit seiner schwarzen Umwelt zurechtfinden. Trevor Noah lernte sich anzupassen. So lernte er fast nebenbei sieben Sprache -, von Englisch über Deutsch bis Zulu und Soth -, um sich jeweils in sein Gegenüber hineinversetzen zu können.

Als dann später die Mutter einen schwarzen Automechaniker heiratet, ihren Job als Sekretärin aufgibt, ihr Talent und das wenige eigene Geld in dessen defizitäres Geschäft steckt, erreicht das Leben der Noahs seinen Tiefpunkt: Die Familie ist so arm, dass sie sich von Würmern ernähren muss. Der nichtsnutzige Ehemann versäuft alles und jagt schlussendlich seiner Frau eine Kugel durch den Kopf. Sie überlebt den Mordanschlag. Der Stiefvater, der dank einer frauenfeindlichen Gesellschaft und einem guten Anwalt mit Bewährung davonkommt, bedroht danach auch Trevor.

Heute ist Trevor Noah ein international gefeierter Comedian, der die legendäre «The Daily Show» in den USA leitet und weltweit – ob Sydney, Dubai, Toronto, San Francisco oder Berlin – in ausverkauften Sälen auftritt. Das Buch landete völlig zu Recht auf dem 1. Platz der «New York Times»-Bestsellerliste.

Ein unglaublich starkes Buch! Fesselnd – traurig – aufrüttelnd – komisch! Ich kann es nur wärmstens empfehlen!

Bettina Bartl

am 24. Januar 2022

Scrollen