Kalenderwoche 49/2023
Solange wir schwimmen
Von Julie Otsuka
Seit Jahren treffen sich regelmässig Menschen im unterirdischen Schwimmbad. Auf sehr unterhaltsame Weise werden diese Menschen beschrieben, die unterschiedlicher nicht sein können. Etwas haben sie aber alle gleich: sie können beim Schwimmen ihre Sorgen und Probleme hinter sich lassen und die Ruhe geniessen. Auch Alice gehört zu den Schwimmerinnen die seit Jahren ins unterirdische Bad kommen. Doch plötzlich tut sich ein Riss im Grund des Beckens auf. Niemand weiss warum und was die Ursache ist. Die Schwimmer sind zutiefst beunruhigt und beobachten den Riss genau wenn sie darüber hinweg schwimmen. Es kam das unausweichliche – das Schwimmbad musste geschlossen werden.
Dieser Riss stehet für mich auch stellvertretend für den «Riss», der fast gleichzeitig im Leben von Alice und ihren Angehörigen stattfindet. Ihre bis anhin nur leichte Demenz verstärkt sich mit dem wegfallen des täglichen Rituals und sie muss innerhalb kurzer Zeit in ein Altersheim umziehen. Diesen Teil beschreibt die Autorin mit harten Worten. Es ist eine «Entmündigung» die stattfindet, die sowohl den Pensionär als auch die Angehörigen sehr belasten. Mit der Zeit werden die Worte wieder weicher und für mich steht somit ein abfinden der Situation und ein Beginn des Verstehens. Mutter und Tochter finden zueinander.
Ein unheimlich starkes Buch. Ängste, Wut, Verzweiflung, Lachen, Beobachtungen – das alles nur auf 160 Seiten! Ich habe mich beim lesen oft gefragt, ob es sich bei Alice um die Mutter der Autorin handelt.
Bettina Bartl
am 04. Dezember 2023